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AM KÖNIGSWEG von Elfriede Jelinek, Stadttheater Osnabrück, 2018
Mit: Christina Dom, Katharina Kessler, Monika Vivell und Stefan Haschke
Regie: Felicitas Braun 
Bühne: Timo von Kriegstein
Kostüme: Aleksandra Kica
Dramaturgie: Marie Senf


Miss Piggy im Kugelhagel
von Harff-Peter Schönherr
http://www.taz.de/!5532856/
Felicitas Braun macht aus Elfriede
Jelineks Anti-Trump-Zornrede „Am Königsweg" in Osnabrück einen klugen,
skurril überspitzten Theaterabend.
OSNABRÜCK taz | Es gibt
Inszenierungen, die sperren dich aus. Schon drei Viertelstunden rum,
und du weißt immer noch nicht, was das Ganze soll? Furchtbar.
Felicitas Brauns soghaft
leichthändige, sprechend verspielte Adaption von Elfriede Jelineks
handkantenharter Anti-Trump-Zornesrede „Am Königsweg“ ist das genaue
Gegenteil davon: Keine drei Minuten sind in der eigens für die
Osnabrücker Aufführung auf gut anderthalb Stunden eingedampften Fassung
vorüber, dann ist die Sache klar: Ein skurril überspitzter, ebenso
bitterernster wie hochkomischer Abend liegt vor uns, gut anderthalb
Stunden voller hellsichtiger Klugheit und abgedrehter Schauwerte.
Kermit der Frosch taucht
auf und kräht irgendwas über Jelinek selbst. Miss Piggy tastet sich
rein, angeblich so blind, wie Orakel es nun mal sind. In Videos
posieren affektierte Upper-Class-Golfer auf übergrünen Greens. In einer
Tribüne, an der alles Fake ist, vom Teppich in Holzoptik bis zur
Pflanze in Plastik, geht immer mal wieder eine Klappe auf: für einen
cholerischen Dino; für einen plüschigen Igel, der was von „dunklen
Kräften“ piepst; für den Røm-Pøm-Pøm-Pøm-Koch, der signalisiert: Trump?
Den habt ihr euch selbst eingebrockt! Nun löffelt die Suppe aus, so
eklig sie auch schmeckt!
Ein Bühnengeschehen, das
auf Symbolismus setzt, von den Muppets bis zum Mobiliar. Rechts eine
Edel-Sitzgruppe, auf der psychoanalysiert wird. Links ein News-Desk,
der so schnell zerfällt wie die Wahrheit, die niemand mehr kennt.
Ein Trommelfeuer an
Regieeinfällen, optisch, gedanklich und technisch allesamt grandios.
Oft ist es schwer, bei dieser Atemlosigkeit mit dem Dechiffrieren
mitzuhalten
Nicht lange und Stefan
Haschke als The Donald himself stolziert raus, mit Edelsteinkrone und
Hermelinmantel, mit Glitzeruhr und Glitzerschuhen, Golfschläger als
Zepter, der „Blinde unter Blinden, von sich selbst geblendet“. Erst
trägt er Maske, später wird er enttarnt. Zwischendrin baumelt sein
Riesengemächt fast bis zum Boden.
Schräg ist all das,
schrill. Aber Jelinek rechnet so schonungslos mit Trump ab, mit seiner
Egomanie und seinen Lügengespinsten, seiner Machtgeilheit und
Reichtumsprotzerei, seiner Amoralität und Klientelpolitik, dass das
Lachen gefriert. Es geht um seine Schuldenberge und phallischen
Immobilien, seine Hetze und Gold-Obsession, sein Frauenbild.
Verstörende Bilder kommen da heraus.
Einmal schüttet Trump sich Wasser über den Kopf, zu zuckenden Blitzen
und Regenrauschen – klar, der angeblich so sonnige Tag seiner
Amtseinführung. Einmal fährt Miss Piggy mit einem Teil des News-Desks
über die Bühne – klar, Melissa McCarthy alias Trump-Pressesprecher Sean
Spicer, die in Saturday Night Live das White House-Rednerpult zwischen
die Reporter rammt. Wiedererkennungseffekte, jeder ein satter
Wirkungstreffer.
Ein Trommelfeuer an
Regieeinfällen, optisch, gedanklich und technisch allesamt grandios.
Oft ist es schwer, bei dieser Atemlosigkeit mit dem Dechiffrieren
mitzuhalten: Hier eine Konfettibombe, da ein Nebelmeer; hier ein
zerfallendes Kartenspiel, da ein Livevideo, mit einer zusätzlichen
Realitätsebene. Irrwitzig schnelle Orts-, Kostüm- und Rollenwechsel.
Sprechend, all das, perfekt durchdacht. Aber schweißtreibend. Wie das
gesamte Phänomen Trump.
Wann war das noch, als
diese Sturmgewehrsalve Miss Piggy niedermäht? Wann kamen nochmal diese
drei Typen, an- und ineinandergewachsen, mit ihrem Song, dass Krüppel
was Rührendes haben? Vor der Umbaupause? Danach? Man weiß es nachher
kaum mehr, aber das ist nicht schlimm. Das Gesamtbild zählt, und das
ist stark.
Apropos Pause. Das
Publikum bleibt dabei im Saal: „Schauen wir den Arbeitern beim Arbeiten
zu!“ Die Holzteppich-Tribüne wird demontiert. Auf den Monitoren sehen
wir, wie die Darsteller neu geschminkt werden, sich umziehen. Ein
Slum-Ölfass wird reingerollt, für die Obdachlosenszene, die gleich
kommt – natürlich geht die Trump-Welt gehörig den Bach runter.
Alles sprechend, alles
Symbol. Christina Dom trottet minutenlang immer in die Runde, treppauf,
treppab. Auch Katharina Kessler und Monika Vivell, übersät mit
Blutergüssen und Wunden, erstarren in Zwangshandlungen. Abraham opfert
(fast) Isaak. Wild ist das, seltsam, mutig. Die Spielzeit ist erst ein
paar Tage alt. Aber es wird schwer sein, in ihr Timo von Kriegsteins
„Königsweg“-Bühnenbild zu toppen, Aleksandra Kicas Kostüme.
Was bleibt? Sätze wie: „Die Worte sind aufgebraucht, es herrschen die Aufgebrachten!“ Hoffentlich tun sie das nicht mehr lange.
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Inszenierung von Jelineks „Am Königsweg“ imponiert
Von Christine Adam, NOZ
Osnabrück. Einhellige Begeisterung im
Emma-Theater der Städtischen Bühnen Osnabrück: Felicitas Brauns so
intelligente wie quicklebendige Lesart von Elfriede Jelineks „Am
Königsweg“ kam beim Premierenpublikum gut an.
Eine Flut von detailverliebten, auch gern mal prunkvollen Kostümen,
eine aufwendig gestaltete Bühne mit integrierter Kasperlebühne im
Holztreppenaufbau: So viel Futter fürs Auge ist der Theaterbesucher gar
nicht mehr gewohnt. Aleksandra Kica (Kostüme) und Timo von Kriegenstein
(Bühne) haben nichts ausgelassen, um Elfriede Jelineks Textfläche
aussagekräftig zu bebildern.
Schließlich geht es ja in "Am Königsweg" um das Reich eines blinden
Königs, in dem es vor ungereimten Wahrheiten nur so wimmelt. Elfriede
Jelinek versucht sich in ihrem bewährten Schreibverfahren dennoch einen
Reim darauf zu machen. Sie erklärt die Geburtsstunde des Königs aus
aufgestautem Hasspotenzial und Misstrauen. „Und wenn die Menschen
daraus schöpfen, entsteht ein neues Geschöpf, entsteht der König, der
auf Gewalttätigkeiten seiner Nachbarn jederzeit vorbereitet ist.“
Donald Trump ist gemeint, auch wenn sein Name im Stück nicht fällt.
Jelinek pflügt in Wortfeldern, hangelt sich an ähnlich klingenden
Begriffen entlang und untersucht Assoziationsketten auf ihre
Stichhaltigkeit. Das hat etwas Bestechendes, vor allem, wenn die
Wahrheit und Warenwelt nach so ähnlich käuflichen Regeln funktionieren
wie in unseren Tagen. Verbissen ernst scheint sich die Österreicherin
dabei nicht zu nehmen, wenn sie im Stück von sich sagt „Jelinek
jallert“.
In der Tat, die Osnabrücker Fassung, die sich das Regieteam um
Felicitas Braun erarbeitet hat, strotzt wie der Text vor temporeicher
Verspieltheit beim Ausstoß schmerzlicher Erkenntnisse. Etwa wenn es vom
Opfer so scharfsichtig heißt, dass es eine soziale Funktion habe, weil
es die ganze Gesellschaft vor ihrer eigenen Gewalt schütze.
Die vier einander in Spielpower und Textbeherrschung staunenswert
ebenbürtigen Schauspieler Christina Dom, Stefan Haschke Katharina
Kessler als Neue im Ensemble und Monika Vivell jallern gekonnt mit
Jelinek. Sie hüpfen beim Sprechen, bis ihnen die Puste ausgeht. Sie
albern, singen wunderschön mehrstimmig provokante Lieder, lassen einen
winzigen Handpuppenigel weise Worte sprechen oder verkörpern Figuren
wie den Frosch Kermit oder Miss Piggy aus der Muppet-Show, auf die
Jelinek für die Bühnenumsetzung ihres Textes besteht.
Das Team hat mit spürbarer Spiel- und Erkenntnislust Jelineks Einfälle
in eine blitzsaubere Bebilderung umgesetzt. So sehen die vier
Schauspieler am Ende wortwörtlich wie mit Blindheit geschlagen aus,
wenn sie mit schrecklichen Platzwunden im Gesicht und blauen Flecken an
den Beinen auftreten. Denn Jelineks König ist ein „blinder Blender“,
letztlich ohne Weltanschauung, weil er ja nichts mehr anschauen kann.
Am allerbesten, weil sie so klug und präzise formuliert, bringt
Christina Dom die virtuosen Sprachspiele über die Rampe. Sie spielt
denn auch die Autorin selbst mit typischer Tolle und selbstironischem
Lamento über das komplette Versagen ihrer „gesammelten Anklagen“ – weil
ihr keiner je zugehört habe. Da haben wir nun den Salat – und einen
hinreißenden Theaterabend dazu, der, um es mit Jelinek und ihr zum
Trost zu sagen, „das Denken anspornt“.


