„Eine dichte und differenzierte Inszenierung.” (Nordwest Zeitung)
„Lang anhaltender Applaus und ein eher nachdenklicher Aufbruch in die
Premierenfeier zeigen, dass auf der Bühne Großes geleistet wurde.” (NDR
Kultur)
NDR: "Nicht umerziehbar": Gedenken an Anna Politkowskaja
von Stefanie Riepe
Die Ermordung der russisch-amerikanischen Reporterin Anna Politkowskaja
ist fast zehn Jahre her. Ein Jahr nach ihrem Tod schrieb der
italienische Dramatiker Stefano Massini ein Theater-Memorandum über
Politkowskaja - "Eine nicht umerziehbare Frau". Eigentlich ein
Ein-Personen-Stück, doch am Oldenburgischen Staatstheater hat nun die
deutschsprachige Erstaufführung mit gleich drei Darstellerinnen
Premiere gefeiert. Eine von ihnen ist Solène Garnier, die auch die
Musik für die Inszenierung geschrieben hat. Jede der Frauen nimmt
sowohl die Rolle der Anna Politkowskaja ein als auch die ihrer
tschetschenischen Interviewpartner und russischen Widersacher.
GLEICH ZU BEGINN WIRD ENDE POLITKOWSKAJAS ANGEDEUTET
Schon das Bühnenbild von Sonja Böhm lässt nichts Gutes ahnen.
Euro-Paletten sind aufeinander gestapelt. Ein improvisierter Holzsteg
führt zu einer Bretterbude mit Tür. Teddybären und Puppen liegen
irgendwo dazwischen herum. Anna Politkowskaja ist gleich zu Beginn des
Theaterstücks dem Untergang geweiht. Schauspielerin Caroline Nagel
zitiert den Kreml-Vertrauten Wladislaw Surkow aus einem internen
Rundschreiben von 2005: "Die Staatsfeinde lassen sich in zwei
Kategorien aufteilen: die Feinde, die man zur Vernunft bringen kann,
und die Unkorrigierbaren. Mit den Letzteren kann man nicht reden und
das macht sie nicht umerziehbar. Es ist notwendig, dass der Staat
jegliche Anstrengung unternimmt, das Territorium von diesen
Nicht-Umerziehbaren zu säubern." Die Journalistin und
Menschenrechtsaktivistin stirbt ein Jahr nach diesem Schreiben.
SOLÈNE GARNIER MACHT GRAUEN MIT IHRER MUSIK HÖRBAR
Dokumentarische Elemente wie solche Schreiben sind eigentlich nicht
spielbar. Dennoch schaffen es die drei Darstellerinnen, mehrere
Begebenheiten aus dem Alltag der Reporterin lebendig werden zu lassen.
Auch die Musik der Berlinerin Solène Garnier ist dabei eine großartige
Unterstützung. Sie ist eine der drei Politkowskaja-Darstellerinnen. Mit
ihren Instrumenten hat sie die linke Seite der Bühne in Beschlag
genommen. Synthesizer, eine reduzierte Schlagzeugversion, eine Trompete
und eine E-Gitarre kommen immer wieder zum Einsatz, um Stimmung zu
erzeugen. Wirklich genial ist die gebürtige Französin bereits ganz zu
Beginn des Stückes. Mit einer zur zentralasiatischen Laute umgebauten
Ukulele macht sie mit zwei rhythmisch gezupften Tönen das Blut hörbar,
das aus dem Kopf eines hingerichteten tschetschenischen Rebellen
tropft.(...) Für Gänsehaut sorgen in diesem Stück die Schauspielerinnen
Diana Ebert, Solène Garnier und Caroline Nagel. Sie geben der
Protagonistin, jede auf ihre Art, eine Stimme. Garnier erzeugt Bilder
durch wummernde Elektrobeats für einen Militärhubschrauber, der
Politkowskaja aus Tschetschenien ausfliegt, und Ukulele-Töne für die
Blutstropfen. Diana Ebert bewegt sich als Reporterin gegen den Strom
der Flüchtenden nach den Selbstmord-Attentaten auf das
Regierungsgebäude in Grosny zu. Mit großem sportlichem Einsatz springt
sie auf diesem Weg - "Ich renne!" rufend - immer wieder auf eine
dicke blaue Sportmatte und verschiebt sie mit ihren Sprüngen langsam
über die Bühne - auf den Ort des Geschehens zu. Die leisen Töne
übernimmt Caroline Nagel. Sie steht im Federregen und vergleicht den
Geruch der verbrannten Toten mit dem gerupften Suppenhuhn, das ihre
Tante Vera in ihrer Kindheit immer mit der Gasflamme vorgeröstet hat:
"Verbrannte Leute - wie die Hühner von Tante Vera."Wenn in der letzten
halben Stunde des Stückes zwei Anschläge den Tod von Anna Politkowskaja
immer näher rücken lassen, steckt den Zuschauern bereits der Kloß im
Hals. Lang anhaltender Applaus und ein eher nachdenklicher Aufbruch in
die Premierenfeier zeigen, dass auf der Bühne Großes geleistet wurde.
Auch wenn die Gestaltung mit Musik und gleich drei Darstellerinnen für
die vielen Facetten der ermordeten Zeitungsjournalistin von manchen
Zuschauern als ungewöhnlich empfunden wurde, so überwog doch der
positive Eindruck. Ein bewegendes Stück, das sicherlich von nun an auf
deutschen Bühnen häufiger gespielt wird.
Plädoyer für Pressefreiheit
„Eine nicht umerziehbare Frau" als eindrucksvolle deutsche Erstaufführung
Ulrich Schönborn
Das Stück „Eine nicht umerziehbare Frau“ setzt der russischen
Journalistin Anna Politkowskaja ein Denkmal. Dem Ensemble des
Oldenburgischen Staatstheaters gelingt eine dichte und differenzierte
Inszenierung.
Nein, natürlich ist das kein entspannter Theaterabend. Kein gefälliges
Schauspiel mit netten Dialogen und hübschen Bildern. Das Stück „Eine
nicht umerziehbare Frau“, mit dem das Oldenburgische Staatstheater am
Donnerstagabend in der Exerzierhalle Premiere feierte, ist politisches
Theater in Reinkultur: unbequem, aufrüttelnd, textlastig. Der Titel ist
der russischen Journalistin Anna Politkowskaja gewidmet, die sich vor
allem als kritische Berichterstatterin zwischen den Fronten des
Tschetschenienkrieges profiliert und exponiert hat. Vor knapp zehn
Jahren wurde sie im Flur ihres Moskauer Appartementhauses ermordet. Der
1975 geborene italienische Autor Stefano Massini hat dieser unbeugsamen
Frau ein Denkmal gesetzt (Übersetzung: Sabine Heymann). Das Stück geht
aber weit über dieses Schicksal hinaus: Es ist ein Plädoyer für die
Meinungs- und Pressefreiheit, die überall dort in Gefahr ist, wo
Mächtige mit Willkür und Gewalt herrschen – ganz egal, ob Politiker,
Mafiosi oder Terroristen.(...) In der deutschsprachigen Erstaufführung
des im Original als Monolog konzipierten Stücks hat Regisseurin
Felicitas Braun die Rolle auf drei Schauspielerinnen verteilt. Das ist
zunächst gewöhnungsbedürftig, bringt aber die Vielschichtigkeit der
Protagonistin und ihres Schicksals wunderbar zur Geltung. Während die
französische Performance-Künstlerin Solène Garnier mit verschiedenen
Instrumenten für eine eindrucksvolle Klangkulisse sorgt, zitieren Diana
Ebert und Caroline Nagel aus Anna Politkowskajas Texten, erklären
Hintergründe und Zusammenhänge des blutigen Konflikts zwischen
Tschetschenen und Russen und verlesen Namen von Opfern des
tschetschenischen Terroranschlagsauf eine Schule im russischen Beslan.
Bald verschwimmen beide Schauspielerinnen zu einer Person, zeigen so
intensiv, wie Anna Politkowskaja nach außen wirkt und was sie
gleichzeitig in ihrem Innern bewegt. Perfekt passt dazu die Kulisse
zwischen den kargen Klinkerwänden der Exerzierhalle. Sonja Böhm hat die
Bühne nur mit einigen Paletten und einem erhöhten Bretterverschlag
ausgestattet und setzt sehr sparsam, aber effektiv, Licht ein. Eine
Turnmatte, eine Sprossenwand und ein Ball wecken Assoziationen zu einer
Schul-Sporthalle. In Beslan hat sich ein Großteil des tödlichen Dramas
in einer solchen abgespielt. (...) Das alles ergibt ein dichtes,
differenziertes Bild ohne Schwarzweiß-Malerei und plakative Parolen.
Wer ist im Recht – die tschetschenischen Terroristen oder die
russischen Soldaten? Eindringlich steht diese Frage am Ende des Stücks
im Raum. Auch Anna Politkowskaja konnte keine Antwort geben.
(...)
Eine nicht umerziehbare Frau - Felicitas Brauns deutschsprachige
Erstaufführung von Stefano Massinis Anna-Politkowskaja-Memorandum am
Staatstheater Oldenburg
von Andreas Schnell
Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober
2006, ausgerechnet am Geburtstag Wladimir Putins, sorgte international
für Empörung, vor allem im Westen, wo der Fall als symptomatisch für
den postsowjetischen russischen Staat gedeutet wurde, der – so der kaum
zu überlesende Subtext – so postsowjetisch eben doch noch nicht ist.
In Russland kursierten eher Theorien, die die Mörder auf
tschetschenischer Seite vermuteten. Womit gleichsam die Stühle
bereitstehen, zwischen denen Politkowskaja saß, die als eine von
wenigen, wenn nicht als einzige Stimme aus dem Krieg zwischen Russland
und Tschetschenien berichtete, ohne sich von einer Seite vereinnahmen
zu lassen.
Der italenische Dramatiker Stefano Massini, von der Courage der
Journalistin beeindruckt, widmete ihr sein Stück "Eine nicht
umerziehbare Frau".
Was dabei vielleicht naheläge, vermeidet Braun konsequent: gefühlige
Identifikationsangebote, Kitsch, Betroffenheitsgesten, Pathos.
Die anfängliche Sprödigkeit weicht im Verlauf des Abends, in die
sparsam ausgeleuchtete Tristesse setzt es gar einen echt wunderschönen
Moment, als Caroline Nagel inmitten wie Schneeflocken herabfallender
weißer Federn trügerisch sentimentale Kindheitserinnerungen
reminisziert, von Tante Wera, die zu Sowjetzeiten einem Huhn die
Federkiele über der Flamme des Gasherds abfackelt und dabei auch das
Fleisch schon angart – wobei ein Geruch entsteht, den die erwachsene
Anna auf den tschetschenischen Schlachtfeldern wieder in der Nase hat.
Sätze legen sich in Schleifen, die inneren Widersprüche drängen
unwirsch hinaus, Garnier lässt ein schroffes Riff repetieren, schlägt
martialische Beats auf dem Schlagzeug, während Nagel und Ebert mit
regelrechtem Punk-Furor wüten.